Wir Studierende sind darüber entsetzt, dass ein großer Teil der Tutorien ersatzlos gestrichen oder durch vorlesungsähnliche Propädeutika ersetzt werden sollen. Über ein Jahr waren wir im Homeoffice und mussten mehr schlecht als recht die Masse an Stoff bei stundenlangen Zoommarathons oder anhand von vertonten Präsentationen bewältigen. Unsere Kommiliton*innen in den ersten drei Semestern haben die Universität noch nie von innen erlebt. Doch gerade jetzt entschließen sich die Hochschullehrer*innen die Tutorien massiv zu kürzen. Dadurch fällt nicht nur ein wichtiger Ort zum praktischen Einüben des Stoffs und damit ein essentieller Bestandteil eines umfassenden und chancengleichen juristischen Studiums, sondern auch ein Ort für Diskurs, Reflexion und persönlichen Austausch weg.
Während die Qualität von Vorlesungen schwankt und insbesondere im Rahmen der digitalen Lernformate zu Pandemiezeiten offenbar wurde, für wie (un-)wichtig manche Professor*innen eine studierendengerechte Lehre halten, waren die Tutorien eine stabile Stütze zur Einübung juristischer Fähigkeiten. Doch im Gegensatz zum in der Vorlesung vermittelten abstrakten Stoff, lassen sich Fallübungstechniken, sprachliches Ausdrucks- und Argumentationsvermögen nicht anhand von Lehrbüchern einüben.
Hierdurch leiden letztendlich nicht nur rein juristische Fähigkeiten, sondern auch die im Jurastudium durch die schiere Stoffmenge ohnehin schon wenigen Möglichkeiten zum kritischen Hinterfragen, Reflektieren und Diskutieren auf einer metarechtlichen Ebene. In den Tutorien konnten durch praxisbezogene Falllösung das System, die Wirkweisen und Konsequenzen einzelner Normkomplexe erfahren und diskutiert werden. Würde dieser Praxisbezug weiter verringert, so erhöhte man das Risiko am Ende des Studiums welt(-ent-)fremde(-te), unvollständig ausgebildete Subsumtionsmaschinen in wichtige Positionen zu entlassen. Nicht nur steigt dadurch das Instrumentalisierungspotential von Jurist*innen, sondern auch die Idee von Universitäten als Orte der gesellschaftlichen Entwicklung und Umwälzung wird ins Lächerliche gezogen.
Gleichzeitig stellten die Tutorien einen Ort für die Studierenden dar, sich untereinander kennenzulernen und zu vernetzen. Insbesondere in einem Massenstudiengang wie Jura an der Goethe-Universität mit über 4500 Studierenden und Vorlesungen mit oftmals bis zu 600 Teilnehmenden, spielen Tutorien diesbezüglich eine wichtige Rolle. Was auf den ersten Blick als gemeinsames Kaffeetrinken im Anschluss eines Tutoriums erscheint, ist nicht selten die Fortsetzung von Diskussionen, Geburtsstunde von Ideen oder Freundschaften. Die Tutorien sind damit neben einem Lernort auch ein sozialer Raum und leisteten so einen essenziellen Beitrag zum universitären Leben.
Nicht zuletzt führt die Kürzung des Tutorienprogramms zu einer Verstärkung der schon bestehenden Bildungsungerechtigkeit im Jurastudium. Schon jetzt fühlen sich die meisten Studierenden dazu gezwungen, in der Examensvorbereitung auf private Repetitorien zurückzugreifen. Der geplante massive Tutorienwegfall würde die Studierenden dazu zwingen, in noch größerem Umfang auf teure Privatangebote zurückzugreifen. Alle die sich das nicht leisten können, erfahren damit erhebliche Nachteile.
Wir fordern daher, von den Plänen zur Kürzung des Tutorienprogramms abzusehen. Eine ausreichende Finanzierung unseres Studiums muss gewährleistet werden. Nur so wird eine angemessene Ausbildung für Alle ermöglicht.